Kaum ein anderes Thema sorgt für so viele Rechtsstreitigkeiten wie Hartz IV. Einen besonderen Fall hatte jetzt das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel zu entscheiden. Es ging dabei um die Frage, ob im Ausland lebende Kinder von Arbeitslosengeld-II-Beziehern bei einem Besuch bei ihren Eltern in Deutschland einen Anspruch auf Sozialgeld haben oder nicht.
Sozialgeld für die Zeit des Elternbesuchs
Zwei Mädchen mit deutscher Staatsangehörigkeit, damals 9 und 12 Jahre alt, lebten das ganze Jahr bei ihren Großeltern in Tunesien und gingen dort auch zur Schule. Die Eltern der Mädchen lebten jedoch weiterhin in Deutschland und erhielten Hartz-IV-Leistungen. In der Zeit der tunesischen Sommerferien, die vom 01.07.2011 bis zum 30.09.2011 dauerten, besuchten die zwei Kinder ihre Eltern in Deutschland und lebten bei ihnen. Für diese drei Monate beantragten die Eltern für ihre Töchter Sozialgeld.
Antrag auf Sozialgeld abgelehnt
Diese Anträge wurden von der Stadt Bocholt mit Bescheid vom 06.07.2011 abgelehnt. Gegen diesen Bescheid legten die Eltern Widerspruch ein. Dieser wurde am 11.06.2012 durch Widerspruchsbescheid ebenfalls zurückgewiesen. Begründet wurde die Ablehnung damit, dass die Mädchen nach § 30 Abs. 1 Sozialgesetzbuch I (SGB I) i. V. m. § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, da sie in Tunesien die Schule besuchen.
Klage vom Sozialgericht (SG) Münster abgelehnt
Gegen diesen Ablehnungsbescheid legten die Eltern der Mädchen Klage beim zuständigen Sozialgericht ein. Das SG Münster wies diese Klage jedoch mit derselben Begründung ab wie schon die Stadt Bocholt. Nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II i. V. m. § 30 Abs. 1 SGB I ist für den Bezug von Sozialgeld ein gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland zwingend erforderlich. Auch der Schutz von Ehe und Familie gem. Art. 6 Grundgesetz (GG) steht der Ablehnung nicht entgegen. Die Richter des SG Münster ließen jedoch die Sprungrevision zum BSG zu.
BSG: Bei Kindern kein gewöhnlicher Aufenthalt notwendig
Das BSG gab in seinem Urteil den klagenden Eltern Recht. Aufgrund der Regelungen in § 19 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 7 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 Nr. 4 SGB II haben nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, einen Anspruch auf Sozialgeld. Grundsätzlich gelten Kinder unter 15 Jahren als nicht erwerbsfähig und sind demzufolge anspruchsberechtigt. Da die Mädchen damals 9 und 12 Jahre alt waren, waren sie unzweifelhaft nicht erwerbsfähig. Die Eltern selbst bildeten bereits eine Bedarfsgemeinschaft. Da die Kinder nur zeitweise dem Haushalt angehörten, bildeten sie mit ihren Eltern eine sog. temporäre Bedarfsgemeinschaft. Als Bedarfsgemeinschaft haben die Eltern ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, die Kinder hatten während der tunesischen Schulferien ihren tatsächlichen Aufenthalt bei den Eltern und lebten damit in einer Bedarfsgemeinschaft. Dies genügt für den Bezug von Sozialhilfe. Aus diesen Gründen stand den Eltern für den genannten Zeitraum ein Anspruch auf Zahlung von Sozialgeld für ihre beiden Töchter zu.
(BSG, Urteil v. 28.10.2014, Az.: B 14 AS 65/13 R)
Autorenprofil
Gabriele Weintz
Wirtschaftsjuristin LL.B.
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