Die Trennung der Eltern ist für deren Kinder besonders belastend. Hinzu kommt, dass ein Elternteil grundsätzlich die bisher gemeinsam bewohnte Immobilie verlässt und der Umgang mit ihm viel seltener möglich ist. Umso schlimmer wird es allerdings, wenn sich die Kinder nicht mit dem verbliebenen Elternteil verstehen, es also häufig zu Streitigkeiten oder sogar Handgreiflichkeiten kommt. In einem solchen Fall können Gerichte den Auszug des betroffenen Elternteils verlangen und die Wohnung dem anderen Elternteil zur Nutzung zuweisen.
Konflikte zwischen Mutter und Sohn
Nach seiner Trennung einigte sich ein Ehepaar darauf, dass die Mutter mit dem 18-jährigen Sohn in der ehelichen Wohnung – die den Eheleuten je zur Hälfte gehörte – bleiben sollte. Das Zusammenleben war aber alles andere als friedlich. So kam es z. B. zu Handgreiflichkeiten, woraufhin der Sohn die Wohnung kurzzeitig verließ. Als er zurückkam, hatte die Mutter das Türschloss austauschen lassen. Auch waren die Türen zur Küche und zum Wohnzimmer verschlossen. Da seine Mutter ihn ignorierte und nicht mehr mitversorgte, besuchte er täglich seine Großmutter väterlicherseits, die in einer Wohnung im nächsten Stockwerk lebte.
Der Kindsvater zog daraufhin vor Gericht und verlangte, dass ihm als Hauptbezugsperson des Sohnes die Wohnung zugewiesen wird, die Mutter dagegen ausziehen muss. Sie habe kürzlich ein Hausgrundstück und Geld geerbt – ihr drohe daher keine Obdachlosigkeit. Außerdem sei es ihr zumutbar, in Vollzeit zu arbeiten, um die Miete für eine Wohnung aufzubringen. Die Mutter dagegen forderte ihrerseits die Wohnungszuweisung. An den Handgreiflichkeiten sei der Sohn schuld, der die Versorgung durch sie ablehne. Seitdem bestehe kein Kontakt mehr zum Sohn, sie lebten vielmehr nebeneinander her. Außerdem benötige ihr Noch-Ehemann die Wohnung trotz des eingerichteten Home-Office nicht, daher sei der Antrag auf Wohnungszuweisung pure Schikane. Im Übrigen könne sie doch nicht aus einer Wohnung verwiesen werden, die ihr hälftig gehört.
Auszug der Mutter wegen Kindeswohlgefährdung
Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm wies die Wohnung nach § 1361b I 2 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) dem Kindsvater zur alleinigen Nutzung zu und verpflichtete die Kindsmutter zur Räumung der Immobilie. Dieses Vorgehen war nach Ansicht des Gerichts nötig, um eine unbillige Härte – hier: eine Kindeswohlgefährdung – zu vermeiden.
Eine Kindeswohlgefährdung liegt nicht erst bei einer Gesundheitsgefährdung vor, also wenn ein Elternteil das Kind z. B. schlägt oder misshandelt. Es genügt bereits, wenn die Eltern ständig miteinander oder dem Kind streiten und so die häusliche Atmosphäre „vergiften“. Um eine Belastung des Kindes zu verhindern, kann ein Gericht daher anordnen, dass nur der Elternteil in der Ehewohnung bleibt, der am besten für das Kind sorgen kann. Dagegen soll verhindert werden, dass das Kind wegziehen und sein soziales Umfeld und die vertraute Umgebung zurücklassen muss.
Vorliegend lebten Mutter und Sohn in derselben Wohnung, ohne einander zu beachten. Wenn die beiden doch einmal kommunizierten, artete das Gespräch in Streit oder Handgreiflichkeiten aus. Versorgt wurde der Sohn nicht von der Mutter, sondern von der Oma oder vom Vater, der seine Hauptbezugsperson war. Damit musste der Sohn in einem Umfeld leben, in dem er unmittelbar keinen Ansprechpartner hatte, sondern vielmehr mit Nichtbeachtung u. Ä. bestraft wurde. So ein Umfeld ist kindeswohlschädlich und könnte z. B. dazu führen, dass die schulischen Leistungen des Sohnes nachlassen. Um weitere Spannungen zu vermeiden, war es nach Ansicht des Gerichts angebracht, dass allein die Mutter auszieht.
Dagegen konnte nicht erwartet werden, dass sich der Sohn eine Wohnung sucht. Schließlich befand er sich noch in der schulischen Ausbildung. Aufgrund fehlender Leistungsfähigkeit war es den Eltern auch nicht möglich, eine Wohnung für ihr Kind zu finanzieren. Ferner konnte der Sohn nicht zu seiner Großmutter ziehen, da deren Wohnung zu klein war. Letztendlich aber wäre ein Umgebungswechsel dem Kindeswohl ebenfalls abträglich – schließlich würde er dann seine sozialen Kontakte, etwa zur Oma, die im selben Haus lebt, verlieren. Die „einfachste“ Lösung war daher der Rückzug des Vaters in die Ehewohnung.
Demgegenüber war kein berechtigtes Interesse der Mutter am Verbleib in der Ehewohnung erkennbar: Das Kindeswohl hat Vorrang vor der Eigentümerstellung; das bedeutet, auch der Eigentümer kann zur Vermeidung einer Kindeswohlgefährdung seiner Wohnung verwiesen werden. Da die Noch-Ehefrau vor Kurzem ein Hausgrundstück sowie Geld geerbt hatte, drohte ihr auch keine Obdachlosigkeit. Ferner trifft die Frau mit Ablauf des Trennungsjahres ohnehin eine Erwerbsobliegenheit; es war ihr daher zuzumuten, dass sie sich spätestens zu diesem Zeitpunkt eine Vollzeitstelle sucht, damit sie sich – falls sie etwa nicht in ihr geerbtes Haus ziehen möchte – eine Mietwohnung leisten kann.
(OLG Hamm, Beschluss v. 25.09.2013, Az.: 2 UF 58/13)
Autorenprofil
Sandra Voigt
Assessorin, Redakteurin
Juristische Redaktion
anwalt.de services AG
[rwp-review id=“0″]
Kommentar abgeben